Liebe Freundin, lieber Freund, meine Yoga-Reise beginnt im Frühling in Esslingen, mit einem kleinen Workshop. Sie führt über fünf Länder, in denen ich Yogaurlaube anbiete. Sie endet, so will ich es versuchen, in Monaco, ebenfalls mit einem kleinen Workshop. Auf meiner Reise trage ich bei mir, was ich besitze: einen kleinen Koffer, einen Rucksack und einen Laptop. Eine Yogamatte besitze ich nicht.
Als ich letztes Jahr in Italien unterrichtete, kam eine chinesische Yogaschülerin auf mich zu und fragte: ´Aber warum üben Sie Yoga ohne Matte? Schadet es nicht Ihren Knien?.` Wir setzten uns auf eine Tasse Tee mit Butterkeksen und ich sagte: ´Eine Yogamatte hat viele Vorteile. Ihr Nachteil ist, dass sie den Schüler auf einen bestimmten Raum begrenzt; die Yogamatte sagt ihm: Dieser Platz gehört mir; es ist meins. Es ist so als würde er eine kleine Mauer um sich bauen, innerhalb derer er geschützt ist.
In Balance-Posen und manchen klassischen Yoga-Posen eignet sich die Yoga-Matte nicht immer; der Schüler wackelt oder die Matte rutscht ihm fort. Der Boden besitzt hier mehr Vorteile. Bedenken Sie auch: mit dem Kauf einer Matte füttern Sie weniger Ihre Seele als eine ganze Industrie. Ob dies gut ist, da wir ohnehin so industriell leben müssen, sei dahingestellt. Die Frau verschluckte sich an ihrem Keks. Sie hustete und stürzte schnell ihren Tee hinunter. Bald darauf hatte sie sich gefangen. ´Aber Blöcke! Gurte! Bälle! Sie benutzen gar keine Hilfsmittel?` Da sagte ich: ´Das beste Hilfsmittel ist der eigene Atem. Kommen Sie stets zu Ihrem eigenen Atem zurück. Da finden Sie die meiste Hilfe.`
Die Frau schien enttäuscht von meiner Antwort, brummelte etwas auf chinesisch und ich versicherte ihr, ich stelle es in meinem Yogaunterricht allen frei, ob sie mit oder ohne Matte üben. Beides sei gut. Wir gingen zurück in den Unterricht. Es stand mir das Bild meines ersten Yoga-Lehrers vor Augen; ich hatte bei ihm vier Jahre Yoga geübt, ohne Telefon, Internet und Yoga-Matte. Später hatte ich erfahren, dass Yoga mit Matte geübt werden kann. (Manchmal auch mit Telefon und Internet). Das hatte mich irritiert. Der Unterricht war beendet und die Frau kam aufgeregt auf mich zu. ´Sieh an! Es schadet den Knien nicht so sehr wie ich dachte.´ Sie hatte versucht auf dem nackten Boden zu üben. ´Im Alter, ja, das wird ein Problem. Doch von Zeit und Zeit, vielleicht versuche ich es. Ah, warten Sie!` Die Frau holte ihre Yoga-Matte und gab sie mir in die Hände. ´Für Sie. Damit Sie etwas zum Üben haben.`
Kurz darauf war die Yogawoche beendet. Die Frau reiste ab, ich blieb länger in Italien. Dankbaren Herzens kehrte ich immer wieder auf ihre Yogamatte zurück. Als ich von Italien abreiste, schenkte ich die Yogamatte weiter. Der Beschenkten ist sie heute, was sie mir gewesen ist: ein kleines Stück Heimat. – Es grüßt Sie schön, Ben, Yogalehrer und Schriftsteller.
[yellowbox]Ben ist gerade in fünf Ländern als Yogalehrer unterwegs und schreibt dabei regelmäßig für Asanayoga.Teil 1 seiner Reise findest du hier, Teil 2 der Reise kannst du hier lesen, hier sind Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6, Teil 7, Teil 8, Teil 9,
Teil 10 und Teil 11. Folgt Ben außerdem auf seinen beiden Websites: als Yogalehrer & als Schriftsteller.[/yellowbox]
Lieber Ben, gerne lese ich immer deinen Blog Tagebuch eines Yogalehrers. Es sind lebendige und inspirierende Ideen. Vielen Dank und weiterhin alles Gute. Rüdiger